• König Langohr

    Bei der Königswahl, wie sich versteht,
    Hatten die Esel die Majorität,
    Und es wurde ein Esel zum König gewählt.
    Doch hört, was jetzt die Chronik erzählt:

    Der gekrönte Esel bildete sich
    Jetzt ein, dass er einem Löwen glich;
    Er hing sich um eine Löwenhaut,
    Und brüllte wie ein Löwe so laut.
    Er pflegte Umgang mit Rossen –
    Das hat die alten Esel verdrossen.
    Bulldoggen und Wölfe waren sein Heer,
    Drob murrten die Esel noch viel mehr.
    Doch als er den Ochsen zum Kanzler erhoben
    Vor Wut die Esel rasten und schnoben.
    Sie drohten sogar mit Revolution!
    Der König erfuhr es und stülpte die Kron
    Sich schnell aufs Haupt, und wickelte schnell
    Sich in sein mutiges Löwenfell.
    Dann ließ er vor seines Thrones Stufen
    Die malkontenten Esel rufen,
    Und hat die folgende Rede gehalten:

    „Hochmögende Esel. Ihr jungen und alten!
    Ihr glaubt, dass ich ein Esel sei
    Wie Ihr, Ihr irrt Euch, ich bin ein Leu;
    Das sat mir jeder an meinem Hofe,
    Von der Edeldame bis zur Zofe.
    Mein Hofpoet hat ein Gedicht
    Auf mich gemacht, worin er spricht:
    >Wie angeboren dem Kamele
    Der Buckel ist, ist deiner Seele
    Die Großmut des Löwen angeboren –
    Es hat Dein Herz keine langen Ohren!<
    So singt er in seiner schönsten Strophe,
    Die jeder bewundert an meinem Hofe.
    Hier bin ich geliebt; die stolzesten Pfauen
    Wetteifern, mein königliches Haupt zu krauen.
    Die Künste beschütz ich; man muss gestehn,
    Ich bin zugleich August und Mäzen.
    Ich habe ein schönes Hoftheater;
    Die Heldenrollen spielt ein Kater.
    Die Mimin Mimi, die holde Puppe,
    Und zwanzig Möpse bilden die Truppe.
    Ich hab eine Maler-Akademie
    Gestiftet für Affen von Genie.
    Als ihren Direktor hab ich in petto,
    Den Rafael des Hamburger Ghetto,
    Lehmann vom Dreckwall, zu engagieren;
    Er soll mich auch selber porträtieren.
    Ich hab eine Oper, ich hab ein Ballett,
    Wo halb entkleidet und ganz kokett
    Gar allerliebste Vögel singen
    Und höchst talentvolle Flöhe springen.
    Kapellenmeister ist Meyer-Bär,
    der musikalische Millionär;
    Jetzt schreibt der große Bären-Meyer
    Ein Festspiel zu meiner Vermählungsfeier.
    Ich selber übe die Tonkunst ein wenig,
    Wie Friedrich der Große, der Preußenkönig.
    Er blies die Flöte, ich schlage die Laute
    Und manches schöne Auge schaute
    Sehnsüchtig mich an, wenn ich mit Gefühl
    Geklimpert auf meinem Saitenspiel.
    Mir Freude wird einst die Königin
    Entdecken, wie musikalisch ich bin!
    Sie selbst ist eine vollkommene Stute
    Von hoher Geburt, vom reinsten Blute.
    Sie ist eine nahe Anverwandte
    Von Don Quixotes Rosinante;
    Ihr Stammbaum bezeugt, dass sie nicht minder
    Verwandt mit dem Bayard der Haimonskinder;
    Sie zählt auch unter ihren Ahnen
    Gar manchen Hengst, der unter den Fahnen
    Gottfrieds von Bouillon gewiehert hat,
    Als dieser erobert die heilige Stadt.
    Vor allem durch ihre Schöne
    Glänzt sie! Wenn sie schüttelt die Mähne,
    Und wenn sie schnaubt mit den rosigen Nüstern,
    Jauchzt auf mein Herz, entzückt und lüstern –
    Sie ist die Blume und Krone der Mähren
    Und wird mir einen Kronerben bescheren.
    Ihr seht, verknüpft mit dieser Verbindung
    Ist meiner Dynastie Begründung.
    Mein Name wird nicht untergehn,
    Wird ewig in Klios Annalen bestehn.
    Die hohe Göttin wird von mir sagen,
    Dass ich ein Löwenherz getragen
    In meiner Brust, dass ich weise und klug
    Regiert , und auch die Laute schlug.“

    Hier rülpste der König, doch unterbrach er
    Nicht lange die rede und weiter sprach er:

    „Hochmögende Esel, Ihr jungen und alten!
    Ich werde Euch meine Gunst erhalten,
    Solang Ihr derselben würdig seid.
    Zahlt Eure Steuern zur rechten Zeit
    Und wandelt stets der Tugend Bahn,
    Wie weiland Eure Väter getan,
    Die alten Esel! Sie trugen zur Mühle
    Geduldig die Säcke ; denn ihre Gefühle
    Sie wurzelten tief in der Religion.
    Sie wussten nichts von Revolution –
    Kein Murren entschlüpfte der dicken Lippe,
    Und an der Gewohnheit frommen Krippe
    Fraßen sie friedlich ihr tägliches Heu!
    Die alte Zeit, sie ist vorbei.
    Ihr neueren Esel seid Esel geblieben,
    doch ohne Bescheidenheit zu üben.
    Ihr wedelt kümmerlich mit dem Schwanz
    Doch drunter lauert die Arroganz.
    Ob Eurer albernen Miene hält
    Für ehrliche Esel Euch die Welt;
    Ihr seid unehrlich und boshaft dabei,
    Trotz Eurer demütigen Eselei.
    Steckt man Euch Pfeffer in den Steiß,
    Sogleich erhebt Ihr des Eselgeschreis
    Entsetzliche Laute! Ihr möchtet zerfleischen
    Die ganze Welt, und könnt nur kreischen.
    Unsinniger Jähzorn, der alles vergisst!
    Ohnmächtige Wut, die lächerlich ist!
    Eur dummes Geschrei, es offenbart,
    Wie viele Tücken jeder art,
    wie ganz gemeine Schlechtigkeit
    Und blöde Niederträchtigkeit
    Und Gift und Galle und Arglist sogar
    In der Eselshaut verborgen war.“

    Hier rülpste der König, doch unterbrach er
    Nicht lange die Rede und weiter sprach er:

    „Hochmögende Esel, Ihr jungen und alten!
    Ihr seht, ich kenne Euch! Ungehalten,
    Ganz allerhöchst ungehalten bin ich,
    Dass Ihr so schamlos widersinnig
    Verunglimpft habt mein Regiment.
    Auf Eurem Eselsstandpunkt könnt
    Ihr nicht die großen Löwen-Ideen
    Von meiner Politik verstehen.
    Nehmt euch in acht! In meinem Reiche
    Wächst manche buche und manche eiche,
    Woraus man die schönsten Galgen zimmert,
    Auch gute Stöcke. Ich rat Euch, bekümmert
    Euch nicht ob meinem Schalten und Walten!
    Ich rat Euch, ganz das Maul zu halten!
    Die Räsoneure, die frechen Sünder,
    Die lass ich öffentlich stäupen vom Schinder;
    Sie sollen im Zuchthaus Wolle kratzen.
    Wird einer ga von Aufruhr schwatzen
    Und Straßen entpflastern zur Barrikade –
    Ich lass ihn henken ohne Gnade.
    Das hab ich Euch, Esel, einschärfen wollen!
    Jetzt könnt Ihr euch nach Hause trollen.“

    Als diese Rede der König gehalten,
    Da jauchzten die Esel, die jungen und alten;
    Sie riefen einstimmig: „I – A! I – A!
    Es lebe der König! Hurra! Hurra!“

    Heinrich Heine

    Ein Funke, kaum zu sehen, entfacht doch helle Flammen.  [color=#000000]eg 659