Fortsetzung...
"Aber, mein Sohn", sprach Abgarus,"das sind mystische Zahlen. Wer kann ihre Bedeutung enträtseln?" Artaban erwiderte: "Meine drei Gefährten unter den Magiern - Kaspar, Melchior, Balthasar - und ich haben die alten Tafeln Chaldäas durchforscht und die Zeit errechnet. Sie fällt auf dieses Jahr. Wir haben den Himmel studiert, und in diesem Frühling sahen wir im Zeichen der Fische, welches das Haus der Hebräer ist, zwei der größten Sterne sich einander nähern. Und dort sahen wir auch einen neuen Stern, der eine Nacht schien und dann verschwand. Jetzt begegnen sich die beiden großen Planeten abermals. Heute Nacht stehen sie in Konjunktion. Meine drei Brüder beobachten im alten Tempel der Sieben Sphären zu Borsippa in Babylonien, und ich beobachte hier. Wenn der Stern wieder erscheint, werden wir in zehn Tagen zusammen nach Jerusalem aufbrechen, um den Verheißenen zu besuchen und anzubeten, der zum König von Israel geboren werden wird. Ich glaube, das Zeichen wird eintreten. Ich habe mich gerüstet für die Reise. Ich habe mein Haus und meinen Besitz veräußert und diese Juwelen gekauft, einen Saphir, einen Rubin, und eine Perle, um sie den König als Tribut zu bringen. Und ich bitte euch, mit mir auf die Wallfahrt zu gehen, damit wir gemeinsam den Fürsten finden."
Aus dem innersten Bausch seines Gürtels zog er drei herrliche Kleinode - eins blau wie ein Stück des nächtlichen Himmels, eins röter als ein Strahl des Sonnenaufgangs, eins rein wie ein Schneegipfel im Zwielicht.
Doch seine Gefährten schauten befremdet und abweisend drein wie Menschen, die unglaublichen Reden zugehört haben oder dem Vorschlag zu einem unmöglichen Unterfangen.
Endlich sprach Tigranes:"Artaban, dies ist ein eitler Traum. Das kommt von dem vielen Sterngucken und dem Hegen hochfliegender Gedanken. Aus dem zerbrochenen Geschlecht Israel wird ein König erstehen. Und der ewige Kampf von Licht und Dunkel wird niemals ein Ende finden. Wer danach sucht, hascht nach Schatten. Lebe wohl."
Und einer nach dem anderen sagten auch die übrigen, diese Suche sei nichts für sie, aber sie wünschten ihm Glück auf den Weg. Doch Abgarus, der Älteste, der noch zurückblieb, nachdem die anderen gegangen waren, sagte ernst:"Mein Sohn, mag sein, dass das Licht der Wahrheit in diesem Zeichne leuchtet, das am Himmel erschienen ist; mag auch sein, es ist nur ein Schatten des Lichts, wie Tigranes sagt. Aber besser, auch nur dem Schatten des Besten folgen als sich zufrieden zugeben mit dem Schlechtesten. Und wer wunderbare Dinge sehen will, der muss oft bereit sein, allein zu reisen. Ich bin zu alt für diese Fahrt, aber mein Herz wird auf der Reise dein Gefährte sein Tag und Nacht. Gehe in Frieden."
So gingen sie einer nach dem anderen aus dem azurenen Gemach mit den silbernen Sternen, und Artaban blieb allein zurück. Lange Zeit beobachtete er die Flamme, die auf dem Altar flackerte und zusammensank. Dann hob er den schweren Vorhang auf und schritt zwischen den mattroten Porphyrsäulen hinaus auf die Dachterasse.
Das Frösteln, das die Erde durchschauert, ehe sie von ihrem Nachtschlaf erwacht, hatte schon begonnen, und von den erhabenen, schneegezeichneteten Schluchten des Orontes herab wehte der kühle Hauch, der den Tagesanbruch ankündigt. Vögel, halb erwacht huschten zwitschernd durch das raschelnde Laub, und von den Lauben herüber wehte in Wellen der Duft reifer Trauben.
Über der östlichen Ebene weißer Nebel wie ein See. Doch wo die fernen Gipfel des Zagrosgebirge den westlichen Horizont durchzuckten, war der Himmel klar. Jupiter und Saturn rollten in eins, wie züngelnde Flammentropfen verschmelzen.
Während Artaban sie beobachtete, siehe, da entsprang aus der Dunkelheit unter ihnen ein blauer Funke, der sich purpurglänzend zu einem karminroten Ball rundete und dann durch Strahlen von Safran und Orange zu einem weißen Glutpunkt aufschloss. Winzig und unendlich fern, doch vollkommen, flimmerte er in dem gewaltigen Gewölbe, als hätten sich die drei Juwelen des Magiers vermischt und verwandelt zu einem lebenden Lichtherzen.
Er beugte das Haupt. "Das ist das Zeichen", sagte er. " Der König kommt und ich will ihm entgegengehen."
An den Wassern von Babylon
Die ganze Nacht hatte Vasda, das schnellste von Artabans Pferden, gesattelt und gezäumt in seinem Stall gewartet, ungeduldig den Boden scharrend und das Gebiss schüttelnd. Bevor noch die Vögel recht auf waren zu ihrem hohen, freudigen Morgenlied und noch ehe der Nebel sich träge von der Ebene hob, war der vierte Weise schon im Sattel und trabte auf der Straße, die am Fluss des Orontes entlangführte, rasch nach Westen.
Wie eng, wie vertraut ist die Kameradschaft zwischen Reiter und Lieblingspferd auf einer langen Reise! Sie trinken von der gleichen Quelle am Wegrand, schlafen unter den gleichen schützenden Sternen. Der Herr teilt mit seinem hungrigen Gesellen sein abendliches Mahl und spürt die weichen Lippen, während sie sich den Brotbrocken holen, seine Handfläche liebkosen. Im Morgengrauen wird er vom sanften Fächeln eines warmduftenden Atems von seinem Lager geweckt und blickt auf in die Augen seines treuen Weggefährten, der bereitsteht und wartet auf die Mühsal des Tages. Und dann trommeln durch die beißende Morgenluft die geschwinden Hufe im Takt zum Schlag zweier Herzen ihre frische Stakkatomusik.
Artaban musste klug und kräftig zureiten, um die mit den anderen Magiern vereinbarte Frist einzuhalten; denn der Weg führte über 150 Parasangen, und 15 Parasangen waren das Äußerste, was er an einem Tag schaffte. Aber er trabte unbesorgt dahin und legte jeden Tag die abgemessene Strecke zurück,obwohl er bis in die Nacht und morgens lange vor Sonnenaufgang im Sattel sein musste.
Er ritt die braunen Hänge des Orontes entlang, die von den Felsbetten Hunderter von Gießbächen durchfurcht waren.
Er durchquerte die weite nisäische Ebene, wo die berühmten Pferdeherden, die auf den weiten Weiden grasten, bei Vasdas Annäherung die Köpfe hochwarfen und mit vielhufigem Donner davongaloppierten und Schwärme wilder Vögel sich aus den sumpfigen Wiesen erhoben und mit dem Rauschen unzähliger Flügel und schrillem Fluchtgeschrei weite Kreise zogen.
Er durchritt die fruchtbaren Felder von Konkabar, wo der Staub von den Dreschtennen die Luft mit einem goldenen Nebel sättigte, der den Riesentempel der Astarte mit seinen 400 Säulen verhüllte.
In Bagistana zwischen den üppigen, von Felsenquellen bewässerten Gärten blickte er auf zu dem Berg, der sein enormes Antlitz über die Straße erhob, und sah die Gestalt des Königs Dareios, wie er seine besiegten Feinde unter die Füße trat, und die stolze Liste seiner Kriege und Eroberungen hoch eingegraben in die ewige Felswand.
Über manch kalten und wüsten Pass, in mühsamem Schritt über windgepeitschte Bergflanken; durch manch schwarze Schlucht, wo der Fluss vor ihm röhrte und toste; durch manch lächelndes Tal mit Terrassen gelben Kalkgesteins voller Reben und Obstbäume; durch die Eichenhaine von Karin und die dunklen Tore des Sagros, ummauert von Steilhängen; über die weiten Reisfelder, wo die Herbstnebel ihre tödlichen Dünste verbreiteten; dem Gyndesufer nach, unter den zitternden Schatten von Tamarinden und Pappeln dahin, durch die flacheren Berge, dann hinaus auf die Ebene, wo die Straße pfeilgerade durch Stoppelfelder und verbrannte Wiesen verlief; über die vielen Kanäle des Euphrat - rastlos ritt Artaban zu, bis er am Abend des zehnten Tages vor den zerstörten Mauern des volkreichen Babylon anlangte.
Gern wäre er in die Stadt eingebogen, um Rast und Erfrischung für sich und Vasda zu finden. Aber es waren noch drei Stunden Ritt bis zum Tempel der Sieben Sphären, und den musste er bis Mitternacht erreichen, wollte er seine wartenden Gefährten noch antreffen. So ritt er stetig weiter.
Ein Dattelpalmenhain bildete eine düstere Insel im blassgelben Meer der Stoppelfelder, und als Vasda in den Schatten gelangte, verfiel sie in gemächlicheren Trott.
Der Hain war dumpf und schweigend wie das Grab; nicht ein Blatt raschelte, nicht ein Vogel sang. Gefahr oder Unheil witternd, schritt Vasda mit gesenktem Kopf vorsichtig ihres Wegs. Endlich stieß sie einen kurzen, ängstlichen Schnaufer aus und blieb, in jedem Muskel zitternd, vor einem dunklen Etwas im Schatten der letzten Palme stehen.
Artaban stieg ab. Das trübe Sternenlicht ließ die Gestalt eines Mannes erkennen, der mitten im Weg lag, einen der armen hebräischen Verschleppten, die immer noch in großer Zahl in der Gegend hausten. Seine Haut war trocken und gelb wie Pergament und trug die Zeichen des tödlichen Fiebers, das zur Herbstzeit in den Sümpfen wütete. Seine Hand hatte die Kälte des Todes, und der losgelassene Arm sank leblos zurück
Artaban wandte sich ab. Mitleidig überantwortete er in Gedanken den Toten der Bestattung, die die Magier für die angemessenste hielten - der Leichenfeier der Wüste, von der sich die Geier auf dunklem Fittich erheben und Raubtiere sich leise drücken, um nur einen Haufen weißer Knochen im Sand zurückzulassen. Doch als er im Begriff war zu gehen, entrang sich den Lippen des Mannes ein unheimlicher Seufzer, und die knochigen Finger krallten sich in den Gewandsaum des Magiers.
In dumpfem Unwillen über das Missgeschick war Artabans Geist hin und her gerissen. Welchen Anspruch hatte dieses unbekannte Menschenwrack auf seine Dienste? Wenn er sich auch nur eine Stunde aufhielt, konnte er Borsippa kaum noch zur festgesetzten Zeit erreichen; seine Gefährten würden ohne ihn aufbrechen. Sollte er der Nachfolge des Sterns untreu werden, die große Belohnung seines heiligen Glaubens aufs Spiel setzen, nur um einen armen, todgeweihten Hebräer einen Becher Wasser zu reichen?
"Gott der Wahrheit und Reinheit", betete er, "leite mich auf dem heiligen Pfad, dem Weg der Weisheit, den allein Du kennst."
gleich geht es weiter.....