Lieblingsballaden und Gedichte

  • Friedrich Schiller

    (1759 - 1805)


    Die Bürgschaft


    Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
    Damon, den Dolch im Gewande:
    Ihn schlugen die Häscher in Bande,
    »Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!«
    Entgegnet ihm finster der Wüterich.
    »Die Stadt vom Tyrannen befreien!«
    »Das sollst du am Kreuze bereuen.«


    »Ich bin«, spricht jener, »zu sterben bereit
    Und bitte nicht um mein Leben:
    Doch willst du Gnade mir geben,
    Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
    Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
    Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
    Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen.«


    Da lächelt der König mit arger List
    Und spricht nach kurzem Bedenken:
    »Drei Tage will ich dir schenken;
    Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,
    Eh' du zurück mir gegeben bist,
    So muss er statt deiner erblassen,
    Doch dir ist die Strafe erlassen.«


    Und er kommt zum Freunde: »Der König gebeut,
    Dass ich am Kreuz mit dem Leben
    Bezahle das frevelnde Streben.
    Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
    Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
    So bleib du dem König zum Pfande,
    Bis ich komme zu lösen die Bande.«


    Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
    Und liefert sich aus dem Tyrannen;
    Der andere ziehet von dannen.
    Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
    Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,


    Eilt heim mit sorgender Seele,
    Damit er die Frist nicht verfehle.
    Da gießt unendlicher Regen herab,
    Von den Bergen stürzen die Quellen,
    Und die Bäche, die Ströme schwellen.


    Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab,
    Da reißet die Brücke der Strudel herab,
    Und donnernd sprengen die Wogen
    Dem Gewölbes krachenden Bogen

    Und trostlos irrt er an Ufers Rand:
    Wie weit er auch spähet und blicket
    Und die Stimme, die rufende, schicket.
    Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,
    Der ihn setze an das gewünschte Land,
    Kein Schiffer lenket die Fähre,
    Und der wilde Strom wird zum Meere.


    Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
    Die Hände zum Zeus erhoben:
    »O hemme des Stromes Toben!
    Es eilen die Stunden, im Mittag steht
    Die Sonne, und wenn sie niedergeht
    Und ich kann die Stadt nicht erreichen,
    So muss der Freund mir erbleichen.«


    Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
    Und Welle auf Welle zerrinnet,
    Und Stunde an Stunde entrinnet.
    Da treibt ihn die Angst, da fasst er sich Mut
    Und wirft sich hinein in die brausende Flut


    Und teilt mit gewaltigen Armen
    Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.
    Und gewinnt das Ufer und eilet fort
    Und danket dem rettenden Gotte;
    Da stürzet die raubende Rotte


    Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
    Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord
    Und hemmet des Wanderers Eile
    Mit drohend geschwungener Keule.
    »Was wollt ihr?« ruft er vor Schrecken bleich,
    »Ich habe nichts als mein Leben,
    Das muss ich dem Könige geben!«


    Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:
    »Um des Freundes willen erbarmet euch!«
    Und drei mit gewaltigen Streichen
    Erlegt er, die andern entweichen.
    Und die Sonne versendet glühenden Brand,
    Und von der unendlichen Mühe


    Ermattet sinken die Knie.
    »O hast du mich gnädig aus Räubershand,
    Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
    Und soll hier verschmachtend verderben,
    Und der Freund mir, der liebende, sterben!«
    Und horch! da sprudelt es silberhell,
    Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
    Und stille hält er, zu lauschen;


    Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,
    Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
    Und freudig bückt er sich nieder
    Und erfrischet die brennenden Glieder.

    Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
    Und malt auf den glänzenden Matten
    Der Bäume gigantische Schatten;
    Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,
    Will eilenden Laufes vorüber fliehn,


    Da hört er die Worte sie sagen:
    »Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.«
    Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß;
    Ihn jagen der Sorge Qualen;
    Da schimmern in Abendrots Strahlen
    Von ferne die Zinnen von Syrakus,
    Und entgegen kommt ihm Philostratus,


    Des Hauses redlicher Hüter,
    Der erkennet entsetzt den Gebieter:
    »Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
    So rette das eigene Leben!
    Den Tod erleidet er eben.
    Von Stunde zu Stunde gewartet' er
    Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
    Ihm konnte den mutigen Glauben
    Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.«


    »Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht,
    Ein Retter, willkommen erscheinen,
    So soll mich der Tod ihm vereinen.
    Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
    Dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
    Er schlachte der Opfer zweie
    Und glaube an Liebe und Treue!«


    Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor,
    Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
    Das die Menge gaffend umstehet;
    An dem Seile schon zieht man den Freund empor,
    Da zertrennt er gewaltig den dichter Chor:
    »Mich, Henker«, ruft er, »erwürget!
    Da bin ich, für den er gebürget!«


    Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,
    In den Armen liegen sich beide
    Und weinen vor Schmerzen und Freude.


    Da sieht man kein Augen tränenleer,

    Und zum Könige bringt man die Wundermär';
    Der fühlt ein menschliches Rühren,
    Läßt schnell vor den Thron sie führen,
    Und blicket sie lange verwundert an.


    Drauf spricht er: »Es ist euch gelungen,
    Ihr habt das Herz mir bezwungen;
    Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn –
    So nehmet auch mich zum Genossen an:


    Ich sei, gewährt mir die Bitte,

    In eurem Bunde der dritte!«

  • Das Gedicht "Die Bürgschaft" von Friedrich Schiller hat mich immer zutiefst bewegt, weil es so allumfassend den Wert wahrer Freundschaft beschreibt. Ich halte dieses Gedicht für eines der besten, was jemals erdacht und niedergeschrieben wurde. Insbesondere das Widerstehen Damon's gegen das listige Angebot des Diony's, das eigene, bereits verwirkte Leben wieder geschenkt zu bekommen, falls Damon sich zur Flucht, und somit der Opferung des Freundes entschließen sollte, der sich bereitwillig und auf den Freund vertrauend als Pfand überließ, bewegt mich sehr und gibt Kraft für einen unerschütterlichen Glauben an eine wahre Freundschaft.


  • Theodor Fontane

    (1819 - 1898)


    John Maynard

    John Maynard!

    „Wer ist John Maynard?"

    „John Maynard war unser Steuermann,

    Aushielt er, bis er das Ufer gewann,

    Er hat uns gerettet, er trägt die Kron,

    Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.

    John Maynard."

    Die "Schwalbe" fliegt über den Eriesee,

    Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;

    Von Detroit fliegt sie nach Buffalo -

    Die Herzen aber sind frei und froh,

    Und die Passagiere mit Kindern und Fraun

    Im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,

    Und plaudernd an John Maynard heran

    Tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?"

    Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:

    "Noch dreißig Minuten ... Halbe Stund."

    Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei -

    Da klingt's aus dem Schiffsraum her wie Schrei,

    „Feuer!" war es, was da klang,

    Ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,

    Ein Qualm, dann Flammen lichterloh,

    Und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

    Und die Passagiere, buntgemengt,

    Am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,

    Am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,

    Am Steuer aber lagert sich's dicht,

    Und ein Jammern wird laut: "Wo sind wir? Wo?"

    Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo.

    Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,

    Der Kapitän nach dem Steuer späht,

    Er sieht nicht mehr seinen Steuermann,

    Aber durchs Sprachrohr fragt er an:

    „Noch da, John Maynard?"

    „Ja, Herr. Ich bin."

    „Auf den Strand! In die Brandung!"

    „Ich halte drauf hin."

    Und das Schiffvolk jubelt: "Halt aus! Hallo!"

    Und noch zehn Minuten bis Buffalo.

    „Noch da, John Maynard?" Und Antwort schallt's

    Mit ersterbender Stimme: "Ja, Herr, ich halt's!"

    Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,

    Jagt er die "Schwalbe" mitten hinein.

    Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.

    Rettung: der Strand von Buffalo!

    Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.

    Gerettet alle. Nur einer fehlt.

    Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell'n

    Himmelan aus Kirchen und Kapell'n,

    Ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,

    Ein Dienst nur, den sie heute hat:

    Zehntausend folgen oder mehr,

    Und kein Aug im Zuge, das tränenleer.

    Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,

    Mit Blumen schließen sie das Grab,

    Und mit goldner Schrift in den Marmorstein

    Schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

    „Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand

    Hielt er das Steuer fest in der Hand,

    Er hat uns gerettet, er trägt die Kron,

    Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn."

    John Maynard!

  • Max Colpet

    (1905 - 1998 )

    Sag mir wo die Blumen sind

    Sag mir wo die Blumen sind
    wo sind sie geblieben
    Sag mir wo die Blumen sind
    was ist geschehen?
    Sag mir wo die Blumen sind
    Mädchen pflückten sie geschwind
    Wann wird man je verstehen
    wann wird man je verstehen?

    Sag mir wo die Mädchen sind
    wo sind sie geblieben?
    Sag mir wo die Mädchen sind
    was ist geschehen?
    Sag mir wo die Mädchen sind
    Männer nahmen sie geschwind
    Wann wird man je verstehen?
    Wann wird man je verstehen?

    Sag mir wo die Männer sind
    wo sind sie geblieben?
    Sag mir wo die Männer sind
    was ist geschehen?
    Sag mir wo die Männer sind
    zogen fort der Krieg beginnt
    Wann wird man je verstehen?
    Wann wird man je verstehen?

    Sag wo die Soldaten sind
    wo sind sie geblieben?
    Sag wo die Soldaten sind
    was ist geschehen?
    Sag wo die Soldaten sind
    über Gräben weht der Wind
    Wann wird man je verstehen?
    Wann wird man je verstehen?

    Sag mir wo die Gräber sind
    wo sind sie geblieben?
    Sag mir wo die Gräber sind
    was ist geschehen?
    Sag mir wo die Gräber sind
    Blumen wehen im Sommerwind
    Wann wird man je verstehen?
    Wann wird man je verstehen?

    Sag mir wo die Blumen sind
    wo sind sie geblieben?
    Sag mir wo die Blumen sind
    was ist geschehen?
    Sag mir wo die Blumen sind
    Mädchen pflückten sie geschwind
    Wann wird man je verstehen?
    Wann wird man je verstehen?