• Weisser Morgen

    Aus des Nebels weisser Wand
    tasten sich, noch blass,
    die Finger der Sonne hervor.
    Tauchen die Welt
    in milchiges Licht.

    In Nebelrahm getaucht
    liegen die Strassen
    vor mir –
    unwirklich.

    Die Strahlen bündeln sich,
    bis sie die Sonne doch
    mit ganzer Kraft
    durchbricht.

    Langsam nimmt die Welt
    wieder Farben an –
    Verwandlung geglückt
    im Tageslicht.

    © K.sz.

  • Das Gedicht Weisser Morgen schwebt zu dem Leser in einem Gewande jungfräulich reiner Unschuld. In dieser Unschuld ist es verspielt und fasst den Tag wie das Leben selbst als Wonne des Daseins an sich auf. Alles, was geschieht, ist unbefleckt, keine abweichende Motivation stört diesen heiligen Fluss lichter Ordnung. Das Wesen selbst erstrahlt symbolisiert durch die Sonne ins Leben und lässt es aus diesem hehren Quell der Liebe in einem hellen, klaren Flusse fliessen. Eine heilige Symbiose, denn das Wesen antwortet dem Leben wie das Leben dem Wesen.

    Diese Intuition der Reinheit und Unschuld liegt zu Beginn noch im Nebelrahm einer unklaren Undurchschaubarkeit. Das Reine, Unschuldige wird von Schwaden von Gedanken, Motivationen, Urteilen und Vergleichen überdeckt und ummantelt. Das eine Einzigartige tastet sich durch die Zweiheit, die Kausalität, wie im Kampf zweier Mächte. Undurchschauliches soll in seinem Wirken durchschaut werden, die Sonne will erhellen, indem sie durch die Wolken bricht.

    Das Durchbrechen der Sonne kündigt diesen Sieg klaren Erkennens an. Das, was verborgen ist, rückt ins rechte Licht eines klar erkennenden Blickes. Das, was verborgen halten möchte, was verschleiern will, drückt nieder und wirkt bedrückend, aber die Klarheit erfolgt im sanften Blick des Herzens, wie es rein und unschuldig die Welt schaut.

    Das Licht der klaren Tagesschau ist auch der klare Blick der Lebensschau. Schwaden von Absicht lösen sich in der Unschuld des reinen, klaren Bewusstseins auf. Absicht ist Planen und Urteilen, ist Verstand und Ego, ist egoistisch, reines, klares Bewusstsein und seine Schau ist Meditation und unschuldiger Moment und Augenblick.

    Weisser Morgen ist Poesie der Wandlung, der Metamorphose von Individualität ins Selbstlose, des Anhaftens zum Loslassen und Loslösen. Von der Verstandesschau zur Schau des Herzens, von Verbalität zur Intuition. Ein heiliger Weg von der Quelle zum Fluss des Lebens selbst, durch Wandlung wie durch rechte Schau.