Gedichte des Abschieds vom Leben

  • Habe eben den kompletten Text gefunden:


    Es sandte mir das Schicksal tiefen Schlaf.
    Ich bin nicht tot,
    ich tauschte nur die Räume.
    Ich leb in euch,
    ich geh in eure Träume,
    da uns, die wir vereint,
    Verwandlung traf.
    Ihr glaubt mich tot,
    doch dass die Welt ich tröste,
    leb ich mit tausend Seelen dort,
    an diesem wunderbaren Ort,
    im Herzen der Lieben.
    Nein, ich ging nicht fort,
    Unsterblichkeit
    vom Tode mich erlöste.

    Michelangelo (1475 - 1564)

  • Komm in den totgesagten park


    Komm in den totgesagten park und schau:
    Der schimmer ferner lächelnder gestade
    Der reinen wolken unverhofftes blau
    Erhellt die weiher und die bunten pfade.
    Dort nimm das tiefe gelb - das weiche grau
    Von birken und von buchs - der wind ist lau
    Die späten rosen welkten noch nicht ganz
    Erlese küsse sie und flicht den kranz
    Vergiss auch diese letzten astern nicht
    Den purpur um die ranken wilder reben
    Und auch was übrig blieb von grünem leben
    Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.

    George, Stefan (1868-1933)

  • Da leben Menschen, weißerblühte, blasse

    und sterben staunend an der schweren Welt.
    Und keiner sieht die klaffende Grimasse,
    zu der das Lächeln einer zarten Rasse
    in namenlosen Nächten sich entstellt.

    Sie gehn umher, entwürdigt durch die Müh,
    sinnlosen Dingen ohne Mut zu dienen,
    und ihre Kleider werden welk an ihnen,
    und ihre schönen Hände altern früh.

    Die Menge drängt und denkt nicht sie zu schonen,
    obwohl sie etwas zögernd sind und schwach, -
    nur scheue Hunde, welche nirgends wohnen,
    gehn ihnen leise eine Weile nach.

    Sie sind gegeben unter hundert Quäler,
    und, angeschrien von jeder Stunde Schlag,
    kreisen sie einsam um die Hospitäler
    und warten angstvoll auf den Einlasstag.

    Dort ist der Tod. Nicht jener, dessen Grüße
    sie in der Kindheit wundersam gestreift, -
    der kleine Tod, wie man ihn dort begreift;
    ihr eigener hängt grün und ohne Süße
    wie eine Frucht in ihnen, die nicht reift.......


    O Herr, gieb jedem seinen eignen Tod.
    Das Sterben, das aus jenem Leben geht,
    darin er Liebe hatte, Sinn und Not........


    Den gieb uns, der die Wissenschaft gewinnt,
    das Leben aufzubinden in Spaliere,
    um welche zeitiger der Mai beginnt..........


    Denn dieses macht das Sterben fremd und schwer,
    daß es nicht unser Tot ist; einer der
    uns endlich nimmt, nur weil wir keinen reifen.
    Drum geht ein Sturm, uns alle abzustreifen.


    Rainer Maria Rilke 1875-1926

    fragmentarisch zusammengesetzt aus "Das Stundenbuch"

  • Noch einen Blick ins Angesicht, das blasse
    auf dem ein Lächeln schwebt
    Mein Vater, hilf mir, dass ich es recht fasse:
    Mein Kind, das lebt!

    Noch einmal lass mich dich mit Blumen schmücken
    von Herbstesduft durchweht
    dann gläubig auf den ew'gen Frühling blicken
    wo mein Kind lebt.

    Noch einen Blick, dann schließt die enge Klause
    zum letzten Gang sie hebt
    Begrabt den Leib, die Seele ging nach Hause:
    Mein Kind, das lebt.

    (Autor mir unbekannt)

  • Tote Blumen

    Am Sims aus der Vase blicken
    Längst welk Deine Rosen und tot,
    Die geprangt dem Aug' zum Entzücken
    In Weiß und Purpurrot!

    Doch schwand auch ihr Farbenschimmer,
    Sind auch die Kronen verdorrt,
    Es strömte ihr Duft in mein Zimmer
    Und weht da belebend fort!
    So wird's mit der Liebe kommen,
    Die kurz mir nur geblüht,
    Mir lebt, ob verwelkt sie, verglommen,
    Mit webt sie fort im Gemüt!

    Grünwald-Zerkowitz, Sidonie (1852- 1907)

  • DER TOD ist heute vor mir
    wie die Genesung nach einer Krankheit
    wie ein erstes Aufstehen nach einem Leiden.

    DER TOD ist heute vor mir
    wie der Duft der Myrrhe
    wie eine Rast unter einem Schutzdach
    an einem stürmischen Tag.

    DER TOD ist heute vor mir
    wie der Duft der Lotosblumen
    wie ein Augenblick im Freudenrausch.

    DER TOD ist heute vor mir
    wie ein Weg nach dem Regen
    wie eine Rückkehr nach Hause
    nach einem Krieg in der Ferne.

    DER TOD ist heute vor mir
    wie eine Aufklarung
    in einem von Wolken bedeckten Himmel
    wie die Sehnsucht nach dem Unbekannten.

    DER TOD ist heute vor mir
    wie die Freude, die man empfindet,
    sein Haus wiederzusehen
    nach langen Jahren der Gefangenschaft.

    (um 1.300 v. Chr.)

  • Die trauernde Rose


    Allzulange, Wiederhall,
    Tönst du mich zu preisen.
    Singe du mir Nachtigall,
    Klageweisen.

    Nicht der Liebling der Natur
    Bin ich, wie ich scheine;
    O! sie gab mir Qualen nur,
    Freuden keine.

    Nicht in Wonne, früh und spät,
    Schwimm' ich, wie sie wähnen,
    Ganz von Perlen übersä't;
    Nein! von Tränen.

    Ach! Gewalt und Stürme droh'n
    Meinem kurzen Schimmer!
    Kommst du morgen, ist er schon
    Hin auf immer.

    Friedrich August Clemens (1748-1817)

  • Der Herbsttag

    Die Bäume stehn der Frucht entladen,
    Und gelbes Laub verweht ins Tal;
    Das Stoppelfeld in Schimmerfaden
    Erglänzt am niedern Mittagsstrahl.
    Es kreist der Vögel Schwarm, und ziehet;
    Das Vieh verlangt zum Stall, und fliehet
    Die magern Aun, vom Reife fahl.

    O geh am sanften Scheidetage
    Des Jahrs zu guter letzt hinaus;
    Und nenn ihn Sommertag und trage
    Den letzten schwer gefundnen Strauß.
    Bald steigt Gewölk, und schwarz dahinter
    Der Sturm, und sein Genoß, der Winter,
    Und hüllt in Flocken Feld und Haus.

    Ein weiser Mann, ihr Lieben, haschet
    die Freuden im Vorüberfliehn,
    Empfängt, was kommt unüberraschet,
    Und pflückt die Blumen, weil sie blühn.
    Und sind die Blumen auch verschwunden;
    So steht am Winterherd umwunden
    Sein Festpokal mit Immergrün.

    Noch trocken führt durch Tal und Hügel
    Der längst vertraute Sommerpfad.
    Nur rötlich hängt am Wasserspiegel
    Der Baum, den grün ihr neulich saht.
    Doch grünt der Kamp vom Winterkorne;
    Doch grünt beim Rot der Hagedorne
    Und Spillbeern, unsre Lagerstatt!

    So still an warmer Sonne liegend,
    Sehn wir das bunte Feld hinan,
    Und dort, auf schwarzer Brache pflügend,
    Mit Lustgepfeif, den Ackermann:
    Die Kräh'n in frischer Furche schwärmen
    Dem Pfluge nach, und schrein und lärmen;
    Und dampfend zieht das Gaulgespann.

    Natur, wie schön in jedem Kleide!
    Auch noch im Sterbekleid wie schön!
    Sie mischt in Wehmut sanfte Freude,
    Und lächelt tränend noch im Gehen.
    Du, welkes Laub, das niederschauert,
    Du Blümchen, lispelst: Nicht getrauert!
    Wir werden schöner auferstehn!


    Voss, Johann Heinrich (1751-1826)

  • Dreimal

    Dreimal ging die Witwe übers Ödland,
    Da war kein Frühling, kein Sommer, kein Herbst noch Winter.
    Mitten im Ödland saß ihr Mann, ihr Liebster,
    Und das erste Mal kniete sie nieder, umfing seinen Schoß,
    Sagte, wir haben die Kürbisse eingelegt
    Sauer und süß. Wir sammeln die ersten Nüsse.
    Die Kinder schreiben das A und das O,
    Leb wohl, und der Tote nickte.

    Dreimal ging die Witwe übers Ödland.
    Da war kein Tag, keine Nacht, kein Morgen noch Abend.
    Mitten im Ödland saß ihr Mann, ihr Liebster,
    Und das zweitemal legte sie ihm ihre Hand auf die Brust,
    Sagte, ein Schnee ist gefallen, die Fenster blühn,
    Der Igel hält seinen Winterschlaf,
    Die Kinder backen Monde und Sterne.
    Leb wohl, und der Tote nickte.

    Dreimal ging die Witwe übers Ödland,
    Da war kein Wasser, kein Feuer, keine Luft noch Erde.
    Mitten im Ödland saß ihr Mann, ihr Liebster,
    Und das drittemal sah sie ihn an, berührte ihn nicht.
    Sagte, wir haben die Beete abgedeckt,
    Die Erde in unserem Garten ist schwarz und fett,
    Die Kinder verbrennen den Winter.
    Leb wohl, und der Tote nickte.

    Zum anderenmal ging die Witwe, fand das Ödland nicht mehr.
    Hoch stand das Gras, verwachsen starrten die Hecken,
    Margeriten blühten und Rosen, die Sichel ging.
    Leb wohl, und die Sonne nickte.

    Marie Luise Kaschnitz

  • Allerseelen


    Die Männlein, Weiblein, traurige Gesellen,
    Sie streuen heute Blumen blau und rot
    Auf ihre Grüfte, die sich zag erhellen.
    Sie tun wie arme Puppen vor dem Tod.
    O! wie sie hier voll Angst und Demut scheinen,
    Wie Schatten hinter schwarzen Büschen stehn.
    Im Herbstwind klagt der Ungebornen Weinen,
    Auch sieht man Lichter in die Irre gehn.
    Das Seufzen Liebender haucht in Gezweigen
    Und dort verwest die Mutter mit dem Kind.
    Unwirklich scheinet der Lebendigen Reigen
    Und wunderlich zerstreut im Abendwind.
    Ihr Leben ist so wirr, voll trüber Plagen.
    Erbarm' dich Gott der Frauen Höll' und Qual,
    Und dieser hoffnungslosen Todesklagen.
    Einsame wandeln still im Sternensaal.


    Georg Trakl (1887 - 1914]

  • Blüte der Vollkommenheit

    Wir wünschen Blüte der Vollkommenheit,
    Auf daß der Schönheit Rose nie verdorrt,
    Doch ist dem Tod die reife Frucht geweiht,
    So pflanz' ein Erbe ihr Gedächtnis fort.
    Du lebst nur dir, der Schönheit Selbstgenuß,
    Schürst eignen Glanz, der dich verzehrend scheint,
    Schaffst Hungersnot aus reichem Überfluß,
    Grausam dir selbst gesinnt, dein eigner Feind.
    Heut bist du noch der frische Schmuck der Welt,
    Der einz'ge Herold für des Frühlings Reiz,
    Doch wenn dein Schatz in einer Blüte fällt,
    Wird zur Verschwendung, süßer Filz, dein Geiz.
    Hab' Mitleid, birg nicht überreiche Gabe,
    Der Welt Anrecht, in dir und in dem Grabe.

    Shakespeare, William (1564-1616)

  • Kindtodtenlieder

    Ich habe so mit Rosen
    Dich zugesteckt,
    Es blieb, daß du gestorben,
    Mir unentdeckt.

    Bald dacht' ich, daß du lebend
    Noch seyest mein,
    Bald, daß du mir gewesen
    Nur stets ein Schein.

    Doch wenn der Wind die Decke
    Der Rosen hebt,
    Entdeck' ich, und erschrecke,
    Daß du gelebt

    Nun hast du's arg genug gemacht,
    Sei doch nicht gar so ungeschlacht,
    O Frühling, der du barsch und rauh
    Den Winter spielst in jeder Nacht!

    Ich fordre heuer nicht von Dir
    Die Blüten die du sonst gebracht;
    Erfrier mir nur die Zweige nicht,
    Die ich mit Fleiß hieher gebracht
    Der Rosen auf der Beiden Grab,
    Die mir als Rosen einst gelacht.

    Lasset uns streuen Rosen und Lilien!
    Sollten uns reuen Rosen und Lilien?
    Da ihr verblüht seid, unsere Freude,
    Sollten uns freuen Rosen und Lilien?
    Euerem Welken gleich zu verwelken
    Sollen sich freuen Rosen und Lilien.

    Wollen zu blühen, da ihr verblüht seid,
    Doch sich nicht scheuen Rosen und Lilien?
    Fröste des Frühlings sollen mit frühem
    Tode bedreuen Rosen und Lilien.
    Und mit dem Glutpfeil treffe die scharfe
    Sonne des Leuen, Rosen und Lilien!

    Aber es blühn auf euerem Grabe
    Immer vom neuen Rosen und Lilien.
    Euer zu denken, wollen uns mahnen
    Eure Getreuen, Rosen und Lilien.
    Und es erneut sich euer Gedächtniß,
    Wo sich erneuen Rosen und Lilien.

    Rückert, Friedrich (1788-1866)

  • Wenn ich einst tot bin, geh nicht an mein Grab!
    Den kleinen Hügel lass von Gras umwehen.
    Du sollst das bunte Leben wieder sehen,
    das dir und mir so manche Freude gab.

    Ich selbst bin zwar woanders, nein, nicht weit,
    wie könnte ich mich jemals von dir trennen?
    Du wirst mich nur mit andern Namen nennen.
    Was ich verlor? Ein abgelegtes Kleid.

    Vielleicht, an einem heißen Sommertag,
    werd ich im Windhauch deine Stirne kühlen,
    wirst du auf einmal meine Nähe fühlen,
    wie meine Hand, die oft auf deiner lag.

    Vielleicht, wenn du im Winter stehst und frierst
    und kalte Schauer durch die Glieder drangen,
    bin ich der Sonnenstrahl auf deinen Wangen,
    bin ich die Wärme, die du plötzlich spürst.

    Vielleicht bin ich die Schutzkraft, die dich hüllt,
    die Liebe, die dich hält und heilt und segnet,
    die dir verwandelt überall begegnet
    und unser Leben hier und dort erfüllt.

    Marianne Junghans

  • Wie ich mir mein Grab wünsche


    Ihr Grotten, Quellen ihr,
    Die aus dem Felsrevier
    Hinstürzet unverwandt,
    Ein gleitend Band,

    Ihr Wälder, Bachgerinn
    Durch grüne Wiesen hin,
    Ihr Ufer, Haine dort,
    Vernehmt mein Wort.

    Will es die Schicksalsstund,
    Daß ich nun geh zugrund,
    Und wird genommen mir
    Was schön war hier,

    Soll nimmermehr es sein,
    Daß man aus Marmorstein
    Voll übertriebner Pracht
    Ein Grab nur macht.

    Ein Baum soll mich allein
    Beschatten statt dem Stein,
    Mit seiner Blätter Kleid,
    Grün alle Zeit.

    Ronsard, Pierre de (1525-1585)

    (übertragen von Max Rieple)

  • Die Rose

    Wie man an ihrem Zweig im Monat Mai die Rose
    In ihrer Jugend sieht, in ihrer ersten Pracht,
    Wie sie mit ihrer Glut den Himmel neidisch macht,
    Der morgens sie besprengt, der weinend wolkenlose:

    Die Anmut ruht sich aus, die Lieb' auf ihrem Blatte,
    Erfüllend Busch und Baum mit ihren süßen Hauch;
    Doch martert Regen sie, quält Hitze ihren Strauch,
    So löst sie sich vom Stiel und stirbt, die todesmatte:

    So hat im ersten Glanz, in deiner schönsten Zeit,
    Als Erd' und Himmel dich geziert mit ihrem Kleid,
    Die Parze dich gefällt zu frühem Aschenlose.

    Nimm meine Träne denn zum Schmuck dir in die Gruft,
    Den Krug hier voller Milch, den Korb voll Blumenduft,
    Daß tot wie lebend du nur Rose seist, nur Rose.


    Ronsard, Pierre de (1525-1585)

    Schüttet die Rose zu dem Wein, neben den Wein schüttet die Rosen.

    Krüssmann berichtet, daß Ronsard mit Rosenwasser getauft worden sei.
    Von Königin Mary von Schottland erhielt er - als Dank für ein Gedicht über sie -
    eine wertvolle silberne Rose geschenkt .

  • Auf den Tod eines kleinen Kindes

    Jetzt bist du schon gegangen, Kind,
    Und hast vom Leben nichts erfahren,
    Indes in unseren welken Jahren
    Wir Alten noch gefangen sind.

    Ein Atemzug, ein Augenspiel,
    Der Erde Luft und Licht zu schmecken,
    War dir genug und schon zuviel;
    Du schliefst ein, nicht mehr zu wecken.

    Vielleicht in diesem Hauch und Blick
    Sind alle Spiele, alle Mienen
    Des ganzen Lebens dir erschienen,
    Erschrocken zogst du dich zurück.

    Vielleicht wenn unsre Augen, Kind,
    Einmal erlöschen, wird uns scheinen,
    Sie hätten von der Erde, Kind,
    Nicht mehr gesehen als die deinen.

    Hermann Hesse

  • Rosenlied


    Wir senkten die Wurzeln in Moos und Gestein,
    Wir wiegten die Schultern im rosigen Schein,
    Wir tranken die Sonne, den Thau und das Licht,
    Wir prangten in Schönheit und wußten es nicht.

    Der Lenz strich vorüber und küßte uns leis,
    Der Tag ward so still und die Nächte so heiß,
    Der Wind sprach von Liebe manch flüsterndes Wort,
    Ein Schritt kam gegangen .. ein Arm trug uns fort.

    Wer hält unser Leben in zitternder Hand?
    Es duftet und rieselt ein weißes Gewand ...
    Wir sehn eine Brust, die Sehnsucht erregt,
    Wir hören ein Herz, das in Leidenschaft schlägt.

    Von Liebe gebrochen, zu Liebe gebracht -
    Wir grüssen dich, Schwester, in schweigender Nacht.
    Der Tag, der zu holderem Blühen dich ruft,
    Er schenkt unsre Schönheit verwelkt in die Gruft.

    Ritter, Anna (1865-1921)

  • Abschied


    Wie hab ich das gefühlt, was Abschied heißt.
    Wie weiß ich's noch: ein dunkles unverwundnes
    Grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
    Noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.

    Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen,
    Das, da es mich, mich rufend, gehen ließ,
    Zurückblieb, so als wären's alle Frauen
    Und dennoch klein und weiß und nichts als dies:

    Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen,
    Ein leise Weiterwinkendes -, schon kaum
    Erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum,
    Von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen.

    Schon kehrt der Saft aus jener Allgemeinheit,
    Die dunkel in den Wurzeln sich erneut,
    Zurück ans Licht und speist die grüne Reinheit,
    Die unter Rinden noch die Winde scheut.

    Die Innenseite der Natur belebt sich,
    Verheimlichend ein neues Freuet euch;
    Und eines ganzen Jahres Jugend hebt sich,
    Unkenntlich noch, ins starrende Gesträuch.

    Des alten Nussbaums rühmliche Gestaltung
    Füllt sich mit Zukunft, außen grau und kühl;
    Doch junges Buschwerk zittert vor Verhaltung
    Unter der kleinen Vögel Vorgefühl.

    Rilke, Rainer Maria (1875-1926)

  • Was kann man mehr von Menschen
    sagen?
    Ihr habt am Baum nicht Frucht
    getragen,
    Und seid als Blüten früh entschwebt,
    Doch lieblich klagen
    Die Lüfte, die zu Grab euch tragen:
    Ihr habet nicht umsonst gelebt.

    In unser Leben tief verwebt,
    Hat Wurzeln euer Tod geschlagen
    Von süßem Lied und Wohlbehagen
    Ins Herz, aus dem ihr euch erhebt
    In Frühlingstagen
    Als Blütenwald von Liebesklagen,
    Ihr habet nicht umsonst gelebt.

    O die ihr sanften Schmerz uns gebt
    Statt eure an der Brust zu tragen,
    Euch werden fremden Herzen
    schlagen
    Von Menschenmitgefühl durchlebt
    Bei unsern Klagen,
    Was kann man mehr von Menschen
    sagen?
    Ihr habet nicht umsonst gelebt!


    Friedrich Rückert 1788 - 1866
    (zweifach verwaister Vater, Tochter 3 und Sohn 5 Jahre)

  • Die schwersten Wege

    Die schwersten Wege
    werden allein gegangen,
    die Enttäuschung, der Verlust,
    das Opfer,
    sind einsam.
    Selbst der Tote der jedem Ruf antwortet
    und sich keiner Bitte versagt
    steht uns nicht bei
    und sieht zu
    ob wir es vermögen.

    Die Hände der Lebenden die sich ausstrecken
    ohne uns zu erreichen
    sind wie die Äste der Bäume im Winter.
    Alle Vögel schweigen.
    Man hört nur den eigenen Schritt
    und den Schritt den der Fuß
    noch nicht gegangen ist aber gehen wird.
    Stehenbleiben und sich Umdrehn
    hilft nicht. Es muß
    gegangen sein.

    Nimm eine Kerze in die Hand
    wie in den Katakomben
    das kleine Licht atmet kaum.
    Und doch, wenn du lange gegangen bist,
    bleibt das Wunder nicht aus,
    weil das Wunder immer geschieht,
    und weil wir ohne Gnade
    nicht leben können:
    die Kerze wird hell vom freien Atem des Tags,
    du bläst sie lächelnd aus
    wenn du in die Sonne trittst
    und unter den blühenden Gärten
    die Stadt vor dir liegt,
    und in deinem Haus
    dir der Tisch weiß gedeckt ist.
    Und die verlierbaren Lebenden
    und die unverlierbaren Toten
    dir das Brot brechen und den Wein reichen
    und du ihre Stimmen wieder hörst
    ganz nahe
    bei deinem Herzen.

    Hilde Domin