Gedichte des Abschieds vom Leben

  • Zwischen Weinen und Lachen

    Zwischen Weinen und Lachen
    schwingt die Schaukel des Lebens.
    Zwischen Weinen und Lachen
    fliegt in ihr der Mensch.

    Eine Mondgöttin
    und eine Sonnengöttin
    stoßen im Spiel sie
    hinüber, herüber.
    In der Mitte gelagert:
    Die breite Zone
    eintöniger Dämmerung.

    Hält das Helioskind
    schelmisch die Schaukel an,
    übermütige Scherze,
    weiche Glückseligkeit
    dem Wiege-Gast
    ins Herz jubelnd,
    dann färbt sich rosig,
    schwingt er zurück,
    das graue Zwielicht,
    und jauchzend schwört er
    dem goldigen Dasein
    dankbare Treue.

    Hat ihn die eisige Hand
    der Selenetochter berührt,
    hat ihn ihr starres Aug,
    Tod und Vergänglichkeit redend,
    schauerlich angeglast,
    dann senkt er das Haupt,
    und der Frost seiner Seele
    ruft nach erlösenden Tränen.
    Aschfahl und freudlos
    nüchtert ihm nun
    das Dämmer entgegen.
    Wie dünkt ihm die Welt nun
    öde und schal.

    Aber je höher die eine Göttin
    die Schaukel zu sich emporzieht -
    je höher
    schießt sie auch drüben empor.
    Höchstes Lachen
    und höchstes Weinen,
    eines Schaukelschwungs
    Gipfel sind sie.

    Wenn die Himmlischen endlich
    des Spieles müde,
    dann wiegt sie sich
    langsam aus.
    Und zuletzt
    steht sie still
    und mit ihr das Herz
    des, der in ihr saß.

    Zwischen Weinen und Lachen
    schwingt die Schaukel des Lebens.
    Zwischen Weinen und Lachen
    fliegt in ihr der Mensch.

    Christian Morgenstern 1871 - 1914

  • Auf der anderen Seite des Weges

    Der Tod ist nichts,
    ich bin nur in das Zimmer nebenan gegangen.
    Ich bin ich, ihr seid ihr.
    Das, was ich für euch war, bin ich immer noch.

    Gebt mir den Namen, den ihr mir immer gegeben habt.
    Sprecht mit mir, wie ihr es immer getan habt.
    Gebraucht keine andere Redeweise,
    seid nicht feierlich oder traurig.

    Lacht weiterhin über das,
    worüber wir gemeinsam gelacht haben.
    Betet, lacht, denkt an mich,
    betet für mich,
    damit mein Name ausgesprochen wird,
    so wie es immer war,
    ohne irgendeine besondere Betonung,
    ohne die Spur eines Schattens.

    Das Leben bedeutet das, was es immer war.
    Der Faden ist nicht durchschnitten.
    Weshalb soll ich nicht mehr in euren Gedanken sein,
    nur weil ich nicht mehr in eurem Blickfeld bin?
    Ich bin nicht weit weg,
    nur auf der anderen Seite des Weges.

    Charles Pierre Péguy

    * 7. Januar 1873 in Orléans, gefallen am 5. September 1914 (Marneschlacht),

  • Die Kinder im Schnee

    Ein Winterabend still und kalt. -
    Drei Kinder wandern durch den Wald.

    Sie gingen schon oft den Weg allein -
    Heut flimmert der Mond mit irrem Schein.

    Der Pfad, der sonst so kurz nach Haus, -
    heut mündet er nimmer zum Wald hinaus.

    Die kleinen Beinchen schreiten voran.
    Da ragt empor der finstre Tann.

    Sie laufen zurück und hin und her -
    Sie finden im Schnee den Weg nicht mehr.

    Es weinen die Kleinsten, wohl irrten sie weit.
    Kalt ist die Nacht und Schlafenszeit!

    Sieh dort, unter Wurzeln ein trocknes Hohl,
    Da bettet das Schwesterchen beide wohl.

    Trägt Moos und Laub zu ihrer Ruh
    Und deckt mit dem eignen Tüchlein sie zu.

    Die Nacht ist kalt, vom Mond erhellt, -
    Es funkeln die Sterne am Himmelszelt.

    Man hat sie gesucht mit Rufen und Schrein,
    Man hat sie gefunden bei'm Morgenschein.

    Die beiden Kleinen, sie schlafen fest,
    Aneinandergeschmiegt im warmen Nest.

    Den Arm gerafft voll Laub und Moos,
    So fand man die andre bewegungslos.

    So lag sie im Schnee - die Wangen rot,
    Die hatte geküßt der eisige Tod.

    Heinrich Seidel (1843 - 1906)

  • Weltlich Recht

    Joseph, lieber Joseph, was hast du gedacht,
    daß du die schöne Nanerl ins Unglück gebracht!

    Joseph, lieber Joseph mit mir ist's bald aus,
    und wird mich bald führen zu dem Schandthor hinaus.

    Zu dem Schandthor hinaus auf einen grünen Platz,
    da wirst du bald sehen, was die Lieb hat gemacht.

    Richter, lieber Richter, richt nur fein geschwind,
    ich will ja gern sterben, daß ich komm zu meinem Kind.

    Joseph, lieber Joseph, reich mir deine Hand,
    ich will dir verzeihen, das ist Gott wohl bekannt.

    Der Fähnrich kam geritten und schwenket seine Fahn,
    halt still mit der schönen Nanerl, ich bringe Pardon!

    Fähnrich, lieber Fähnrich, sie ist ja schon todt.
    Gut Nacht, meine schöne Nanerl, deine Seel ist bei Gott.

    Aus: Des Knaben Wunderhorn, Alte deutsche Lieder gesammelt von Achim von Arnim und Clemens Brentano,

    EDIT: Titel und Verfasser wurden aufgrund des Hinweises von Adonis geändert.

    Einmal editiert, zuletzt von Ahasveru (4. September 2005 um 23:18)

  • Ein Alt Totenlied

    So fährt im Herbst der Abendwind
    Wohl über die breite Heide
    Und reißt die Blumen ab geschwind
    Zu unserm tiefen Leide.
    Verschwunden unserm Angesicht
    Sieht man gar bald die Stätte nicht,
    Wo Gras und Blumen gestanden.

    Nun fliehe denn aus eurem Sinn
    Das traurige Seufzen und Klagen hin
    Und ziehet eure Straßen.
    Denk wohl dabei, es währt nicht lang,
    So wird man uns bei Sang und Klang
    Gleichfalls der Erde lassen.

    Anonym

  • Die letzte Ruhestätte

    Wo wird Einst des Wandermühen
    letzte Ruhestätte sein?
    Unter Palmen in dem Süden?
    Unter Linden an dem Rhein?

    Werd ich wo in einer Wüste
    eingescharrt von fremder Hand?
    Oder ruh ich an der Küste
    eines Meeres in dem Sand?

    Immerhin! Mich wird umgeben
    Gotteshimmel, dort wie hier,
    und als Totenlampen schweben
    nachts die Sterne über mir.

    Heinrich Heine 1797 - 1856

  • Adonis' Tod

    Die Göttin sinkt in namenlosem Leide;
    Den Jäger traf des Thieres wilde Wuth;
    Die Rose trinkend von des Jünglings Blut,
    Glänzt ferner nicht im weißen Liljenkleide.

    Das Abendroth der kurzen Liebesfreude
    Blickt traurig aus der Blume dunklen Gluth;
    Adonis todt im Arm der Göttin ruht;
    Das Schönste wird des kargen Hades Beute.

    Verhaßt ist ihr des langen Lebens Dauer,
    Das Götterlos wird ihrer Seele Trauer,
    Die sehnsuchtskrank den süßen Gatten sucht.

    Und still erblühet heißer Thränen Frucht;
    Den stummen Schmerz verkünden Anemonen,
    Den ew'gen Wunsch im Schattenreich zu wohnen.

    Den Liljenleib des Purpurs dunkler Schleier
    Dem irren Blick der Göttin halb entzieht;
    Der Trauer Bild, die Anemone, blüht
    So weiß als roth zur stillen Todtenfeyer.

    Erloschen ist in Ihm des Lebens Feuer,
    Sein todtes Aug' die Blume nimmer sieht.
    Doch plötzlich schmilzt der Göttin Leid im Lied,
    Die Klage tönt, die Seele fühlt sich freier.

    Ein Kranker, der des Liedes Sinn empfunden,
    Durch Ihrer Töne Zauber soll gesunden.
    Der Andacht gerne Liebe sich vertraut.

    Und glaubig einen Tempel er sich baut,
    Auf daß er pflege in dem Heiligthume
    Der Sehnsucht Kind die süße Wunderblume.

    Karoline von Günderode
    (1780 - 1806)

  • Edelkönigs-Kinder

    Es waren zwei Edelkönigs-Kinder,
    Die beiden, die hatten sich lieb,
    Beisammen konnten sie dir nit kommen,
    Das Wasser war viel zu tief.

    „Ach Liebchen könntest du schwimmen,
    So schwimme doch her zu mir,
    Drei Kerzlein wollt ich dir anstecken,
    Die sollten auch leuchten dir.“

    Da saß ein loses Nönnechen,
    Das tat, als wenn es schlief,
    Es tat die Kerzleine ausblasen,
    Der Jüngling vertrank so tief.

    „Ach Mutter, herzliebste Mutter,
    Wie tut mir mein Häuptchen so weh,
    Könnt ich eine kleine Weile
    Spazieren gehen längst der See.“

    „Ach Tochter, herzliebste Tochter,
    Allein sollst du da nit gehen,
    Weck auf deine jüngste Schwester
    Und lass sie mit dir gehen.“

    „Ach Mutter, herzliebste Mutter,
    Mein Schwester ist noch ein Kind,
    Sie pflückt ja all die Blumen,
    Die in dem grünen Wald sind.

    Ach Mutter, herzliebste Mutter,
    Wie tut mir mein Häuptchen so weh,
    Könnt ich eine kleine Weile
    Spazieren gehen längst der See.“

    „Ach Tochter, herzliebste Tochter,
    Allein sollst du da nit gehen,
    Weck auf deinen jüngsten Bruder
    Und lass ihn mit dir gehen.“

    Ach Mutter, herzliebste Mutter,
    Mein Bruder ist noch ein Kind,
    Er fängt ja alle Hasen,
    Die in dem grünen Wald sind.“

    Die Mutter und die ging schlafen,
    Die Tochter ging ihren Gang,
    Sie ging so lange spazieren,
    Bis sie einen Fischer fand.
    Den Fischer sah sie fischen:
    „Fisch mir ein verdientes rot Gold,
    Fisch mir doch einen Toten,
    Er ist ein Edelkönigs-Kind.“

    Der Fischer fischte so lange,
    Bis er den Toten fand,
    Er griff ihn bei den Haaren,
    Und schleift ihn an das Land.

    Sie nahm ihn in die Arme,
    Und küsst ihm seinen Mund:
    „Adieu, ein Vater und Mutter,
    Wir sehn uns nimmermehr.“


    Aus: Des Knaben Wunderhorn, Alte deutsche Lieder gesammelt von Achim von Arnim und Clemens Brentano,
    in dem übrigens auch das Gedicht die „Kindsmörderin“ steht, allerdings unter dem Titel „Weltlich Recht“.

    :wow: Schönheit ist nur eine Frage der Einstellung 8)

  • Wehmut

    Ihr verblühet, süße Rosen,
    meine Liebe trug euch nicht;
    blühet, ach, dem Hoffnungslosen,
    dem der Gram die Seele bricht!

    Jener Tage denk ich trauernd,
    als ich, Engel, an dir hing,
    auf das erste Knöspchen lauernd
    früh zu meinem Garten ging.

    Alle Blüten, alle Früchte
    noch zu deinen Füßen trug,
    und vor deinem Angesichte
    Hoffnung in dem Herzen schlug.

    Ihr verblühet, süße Rosen,
    meine Liebe trug euch nicht;
    blühet, ach, den Hoffnungslosen,
    dem der Gram die Seele bricht!

    Johann Wolfgang von Goethe 1749 - 1832

  • Fröhlicher Tod

    Es ist ein fröhlich Ding um aller Menschen Sterben:
    Es freuen sich darauf die gerne reichen Erben
    Die Priester freuen sich, das Opfer zu genießen
    die Würmer freuen sich an einem guten Bissen
    die Engel freuen sich, die Seelen heimzuführen
    der Teufel freuet sich, im Fall sie ihm gebühren

    Friedrich von Logau 1604 - 1655

  • Laß das Trauern


    Laß, mein Herz, das bange Trauern
    um vergangnes Erdenglück,
    ach, von diesen Felsenmauern
    schweifet nur umsonst der Blick.

    Sind denn alle fortgegangen:
    Jugend, Sang und Frühlingsluft?
    Lassen scheidend nur Verlangen
    einsam mir in meiner Brust?

    Vöglein hoch in Lüften reisen,
    Schiffe fahren auf der See;
    ihre Segel, ihre weisen
    mehren nur des Herzens Weh.

    Ist vorbei das bunte Ziehen,
    lustig über Berg und Kluft,
    wenn die Bilder wechselnd fliehen,
    Waldhorn immer weiter ruft?

    Soll die Lieb auf sonn’gen Matten
    nicht mehr baun ihr prächtig Zelt,
    übergolden Wald und Schatten
    und die weite, schöne Welt? -

    Laß das Bangen, laß das Trauern,
    helle wieder nur den Blick!
    fern von dieser Felsen Mauern
    blüht dir noch gar manches Glück!

    Joseph Freiherr von Eichendorff 1788 - 1857

  • Zu spät

    Hab' an die Dornen nicht gedacht,
    Als ich die Rose brach,
    Die Blätter sanken über Nacht,
    Der Dorn mich blutig stach.

    Hab' an den Winter nicht gedacht
    Im Frühlings-Sonnenstrahl,
    Nun schwand die duft'ge Blumenpracht
    Und öd' ist's allzumal.

    Hab' an das Scheiden nicht gedacht,
    Als ich mein Lieb umfing,
    Nun kommt der Trennung kalte Nacht,
    Die Rosenzeit verging.

    Daß ich an's Ende nicht gedacht,
    Das macht mir bittern Schmerz,
    Das Leid ist kommen über Nacht,
    Und bricht mir nun das Herz.

    Auguste Kurs
    (1815 - 1892)

  • Das ist’s, was an der Menschenbrust
    mich oftmals läßt verzagen,
    daß sie den Kummer wie die Lust
    vergißt in wenig Tagen.

    Und ist der Schmerz, um den es weint,
    dem Herzen noch so heilig -
    der Vogel singt - die Sonne scheint,
    vergessen ist er eilig.

    Und war die Freude noch so süß -
    ein Wölkchen kommt gezogen,
    und vom geträumten Paradies
    ist jede Spur verflogen.

    Und fühl ich das, so weiß ich kaum,
    was weckt mir tiefern Schauer,
    daß gar zu kurz der Freude Traum,
    oder so kurz die Trauer?

    Emanuel Geibel 1815 - 1884

  • Der Freund

    Der auf den Wogen schliefe,
    ein sanft gewiegtes Kind,
    kennt nicht des Lebens Tiefe,
    vor süßen Träumen blind.

    Doch wen die Stürme fassen
    zu wildem Tanz und Fest,
    wen hoch auf dunklen Straßen
    die falsche Welt verläßt:

    Der lernt sich wacker rühren,
    durch Nacht und Klippen hin
    lernt er das Steuer führen
    mit sichrem ernsten Sinn.

    Der ist vom echten Kerne,
    erprobt zu Luft und Pein,
    der glaubt an Gott und Sterne,
    der soll mein Schiffmann sein!

    Joseph Freiherr von Eichendorff 1788 - 1857

  • Föhn

    Blinde Klage im Wind, mondäne Wintertage,
    Kindheit, leise verhallen die Schritte an schwarzer Hecke, langes Abendgeläut.
    Leise kommt die weiße Nacht gezogen, verwandelt in purpurne
    Träume Schmerz und Plage des steinigen Lebens,
    Dass nimmer der dornige Stachel ablasse vom verwesenden Leib.

    Tief im Schlummer aufseufzt die bange Seele.
    Tief der Wind in zerbrochenen Bäumen, und es schwankt die Klagegestalt
    Der Mutter durch den einsamen Wald dieser schweigenden Trauer;
    Nächte, erfüllt von Tränen, feurigen Engeln.
    Silbern zerschellt an kahler Mauer ein kindlich Gerippe.

    Georg Trakl (1887 - 1914)

  • An den Tod

    Halb aus dem Schlummer erwacht,
    den ich traumlos getrunken,
    Ach, wie war ich versunken
    In die unendliche Nacht!

    Tiefes Verdämmern des Seins,
    Denkend nichts, noch empfindend!
    Nichtig mir selber entschwindend,
    Schatte mit Schatten zu eins!

    Da beschlich mich so bang,
    Ob auch, den Bruder verdrängend,
    Geist mir und Sinne verengend,
    Listig der Tod mich umschlang.

    Schaudernd dacht ichs, und fuhr
    Auf, und schloss mich ans Leben,
    Drängte in glühndem Erheben
    Kühn mich an Gott und Natur.

    Siehe, da hab ich gelebt:
    Was sonst, zu Tropfen zerflossen,
    Langsam und karg sich ergossen,
    Hat mich auf einmal durchbebt

    Oft noch berühre du mich,
    Tod, wenn ich in mir zerrinne,
    Bis ich mich wieder gewinne
    Durch den Gedanken an dich!


    Hebbel, Christian Friedrich

    18.03.1813 Wesselburen - 13.12.1863 Wien

  • Tod der Armen


    Es ist der Tod, der Trost und Leben schenkt;
    Er ist das Ziel, das einzig Hoffnung macht,
    Ein Elixier, das uns berauschend tränkt,
    Und Mut gibt, durchzuhalten bis zur Nacht,

    Durch Sturm und Schnee ist er das schwache Licht,
    Für uns am dunklen Horizont entzündet;
    Ist jene Bleibe, die das Buch verspricht,
    wo man zur Rast ein Mahl und Schlummer findet,

    Ein Engel, dessen Finger lockend zeigen
    Den Schlaf und Träume, die uns übersteigen;
    Armen und Nackten er ein Bett bereitet;

    Der Götter Ruhm, der Speicher, der nie leer,
    Der Armen Beutel, Heimat von jeher,
    Das Tor, das uns zu fremden Himmeln leitet!

    Charles Baudelaire 1821 - 1867

  • Resignation.



    Auch ich war in Arkadien geboren,
    Auch mir hat die Natur
    An meiner Wiege Freude zugeschworen;
    Auch ich war in Arkadien geboren,
    Doch Tränen gab der kurze Lenz mir nur.

    Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder;
    Mir hat er abgeblüht.
    Der stille Gott - o weinet, meine Brüder -
    Der stille Gott taucht meine Fackel nieder,
    Und die Erscheinung flieht.

    Da steh ich schon auf deiner finstern Brücke,
    Furchtbare Ewigkeit.
    Empfange meinen Vollmachtbrief zum Glücke!
    Ich bring ihn unerbrochen dir zurücke,
    Ich weiß nichts von Glückseligkeit.

    Vor deinem Thron erheb ich meine Klage,
    Verhüllte Richterin.
    Auf jenem Stern ging eine frohe Sage,
    Du thronest hier mit des Gerichtes Wage
    Und nennest dich Vergelterin.

    Hier, spricht man, warten Schrecken auf den Bösen
    Und Freuden auf den Redlichen.
    Des Herzens Krümmen werdest du entblößen,
    Der Vorsicht Rätsel werdest du mir lösen
    Und Rechnung halten mit dem Leidenden.

    Hier öffne sich die Heimat dem Verbannten,
    Hier endige des Dulders Dornenbahn.
    Ein Götterkind, das sie mir Wahrheit nannten,
    Die Meisten flohen, Wenige nur kannten,
    Hielt meines Lebens raschen Zügel an.

    »Ich zahle dir in einem andern Leben,
    Gib deine Jugend mir!
    Nichts kann ich dir als diese Weisung geben.« -
    Ich nahm die Weisung auf das andre Leben,
    Und meiner Jugend Freuden gab ich ihr.

    »Gib mir das Weib, so teuer deinem Herzen,
    Gib deine Laura mir!
    Jenseits der Gräber wuchern deine Schmerzen.« -
    Ich riß sie blutend aus dem wunden Herzen
    Und weinte laut und gab sie ihr.

    »Die Schuldverschreibung lautet an die Toten,«
    Hohnlächelte die Welt;
    »Die Lügnerin, gedungen von Despoten,
    Hat für die Wahrheit Schatten dir geboten,
    Du bist nicht mehr, wenn dieser Schein verfällt.«

    Frech witzelte das Schlangenheer der Spötter:
    »Vor einem Wahn, den nur Verjährung weiht,
    Erzitterst du? Was sollen deine Götter,
    Des kranken Weltplans schlau erdachte Retter,
    Die Menschenwitz des Menschen Notdurft leiht?

    Was heißt die Zukunft, die uns Gräber decken,
    Die Ewigkeit, mit der du eitel prangst?
    Ehrwürdig nur, weil Hüllen sie verstecken,
    Der Riesenschatten unsrer eignen Schrecken
    Im hohlen Spiegel der Gewissensangst.

    Ein Lügenbild lebendiger Gestalten,
    Die Mumie der Zeit,
    Vom Balsamgeist der Hoffnung in den kalten
    Behausungen des Grabes hingehalten,
    Das nennt dein Fieberwahn Unsterblichkeit?

    Für Hoffnungen - Verwesung straft sie Lügen -
    Gabst du gewisse Güter hin?
    Sechstausend Jahre hat der Tod geschwiegen,
    Kam je ein Leichnam aus der Gruft gestiegen,
    Der Meldung tat von der Vergelterin?« -

    Ich sah die Zeit nach deinen Uhren fliegen,
    Die blühende Natur
    Blieb hinter ihr, ein welker Leichnam, liegen,
    Kein Toter kam aus seiner Gruft gestiegen,
    Und fest vertraut ich auf den Götterschwur.

    All meine Freuden hab ich dir geschlachtet,
    Jetzt werf ich mich vor deinen Richterthron.
    Der Menge Spott hab ich beherzt verachtet,
    Nur deine Güte hab ich groß geachtet,
    Vergelterin, ich fordre meinen Lohn.

    »Mit gleicher Liebe lieb ich meine Kinder!«
    Rief unsichtbar ein Genius.
    »Zwei Blumen,« rief er, »hört es, Menschenkinder,
    Zwei Blumen blühen für den weisen Finder,
    Sie heißen Hoffnung und Genuß.

    Wer dieser Blumen eine brach, begehre
    Die andre Schwester nicht.
    Genieße, wer nicht glauben kann. Die Lehre
    Ist ewig, wie die Welt. Wer glauben kann, entbehre!
    Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.

    Du hast gehofft, dein Lohn ist abgetragen,
    Dein Glaube war dein zugewognes Glück.
    Du konntest deine Weisen fragen,
    Was man von der Minute ausgeschlagen,
    Gibt keine Ewigkeit zurück.«

    Schiller